Laplace Spectra for Shape Recognition

In den letzten 30 Jahren hat in der Entwurfs- und Fertigungstechnologie aller industriellen Produkte eine Revolution stattgefunden. Während noch in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts Entwürfe für ein industrielles Produkt mit technischen Zeichnungen beschrieben und daher auch in Papierform als Blaupausen archivert wurden, existieren seit einigen Jahren die Entwürfe großer und komplexer Produkte wie Verkehrsflugzeuge oder auch mittelgroßer Objekte wie Kraftfahrzeuge komplett in digitalisiertem Format und werden vollständig mit Daten aus CAD-Systemen beschrieben. Die Produkte liegen mit ihrer digitalen Beschreibung nun virtuell vor und können mit Visualisierungssystemen für technische oder ästhetische Inspektionen präzise dreidimensional und auch photorealistisch dargestellt werden. Schließlich werden aus diesen CAD-Daten automatisiert die Steuerungsdaten für Fertigungsmaschinen erzeugt, mit denen alle Teile der Produkte hergestellt werden.

Der gesamte Entwurfsprozess inklusive des Prüfens und Testens der ingenieurstechnisch relevanten physikalischen Eigenschaften verlagert sich zunehmend in virtuelle Welten, in denen dann z.B. mit Simulations- und Visualisierungssystemen virtuelle Crash-Tests für Fahrzeuge durchgeführt werden, die noch nicht materiell existieren, sondern nur virtuell in digitalen Datensätzen von CAD-Systemen vorliegen. Dadurch verlagert sich ein fortwährend wachsender Teil des gesamten industriellen Erzeugungsprozesses zunehmend in einen virtuellen Raum, in dem dann auch ein großer Teil der industriellen Wertschöpfung stattfindet. In dieser "Virtuellen Realität" laufen schließlich die kreativsten, technisch anspruchsvollsten und daher kostbarsten Teile des gesamten Produktionsprozesses ab. Das hat zur Folge, dass die digitalen Datensätze, die die Geometrie der mühsam entwickelten virtuellen Objekte beschreiben, große Werte darstellen und auch vor unberechtigten Kopien geschützt werden müssen. Außerdem bereitet die Verwaltung der gewaltigen Menge digital vorliegender Objekte große Mühe. Die Suche nach Flächen-Datensätzen, die einer vorliegenden Fläche sehr ähnlich sind, ist schwierig. Für diese Suche wird bei herkömmlichen Verfahren oft geprüft, ob man eine Fläche so im Raum positionieren und skalieren kann, dass sie möglichst wenig von einer Vergleichsfläche abweicht. Diese sogenannten "Matching"-Verfahren (Passproben Vergleich) sind relativ zeitaufwendig, so dass ihr Einsatz beim Vergleich mit sehr vielen Flächen nicht anwendbar ist.   Herr Dr. Martin Reuter hat nun in seiner Dissertation ein praktisches Verfahren entwickelt, das einer Fläche oder einem Körper jeweils einen endlichen Zahlenvektor zuordnet, der charakteristisch für die Gestalt des Objektes ist, und in gewisser Weise als "genetische Information" der Form (Shape-DNA) verstanden werden kann. Dieser Vektor wird aus dem sogenannten Laplace-Beltrami-Spektrum einer Fläche oder eines Körpers berechnet. Herr Reuter konnte zeigen, dass diese Shape-DNA gut geeignet ist, um in großen CAD-Datensammlungen aus geometrischen Objekten schnell und effektiv identische und sehr ähnliche Objekte zu finden. Unter zusätzlicher Nutzung von Resultaten aus Dr. Niklas Peineckes Dissertation wurde in einem gemeinsam mit Dr. Peinecke, Dr. Reuter und Prof. Wolter entwickelten Verfahren, dessen internationale Patentierung derzeit anhängig ist, die Anwendung des "Shape DNA"-Konzeptes auf die Suche von Bildern in Datensammlungen erweitert.

Inspiriert wurden diese technischen Suchverfahren, die in den Bild- oder 3D-Objekt-Datenbanken der modernen Ingenieurswelt oder auch der medizinischen Bildverarbeitung verwendet werden können, von Theorien der reinen und angewandten Mathematik, die in den letzten sechzig Jahren entstanden sind. Die Kernidee dieser Theorien kann man sich an einer, in einen ebenen Rahmen fest eingespannten Trommelmembran veranschaulichen. Das Klangspektrum, genauer die Eigenfrequenzen solch einer Trommel, werden maßgeblich von der Gestalt ihres Rahmens beeinflusst. Es war sehr lange ein offenes Problem, ob die Gestalt des Trommelrahmens durch die Eigenfrequenzen der Trommel bestimmt wird, d.h. ob man aus ihren akustischen Eigenschaften die Gestalt des Trommelrahmens hören kann. Die Eigenfrequenzen sind die Wurzeln der Eigenwerte des Laplace Operators bei dem für geschlossene Randkurven in der Ebene definierten Dirichletschen Randwertproblem. Die lange Zeit offene Frage war also, ob hier die Eigenwerte des Laplace Operators - also sein Spektrum - die Gestalt der Randkurve genau festlegen. Es hat sich schließlich herausgestellt, dass dies nicht der Fall ist. Dennoch konnten Herr Reuter und Herr Peinecke zeigen, dass es mit den in der Patentanmeldung vorgeschlagenen Verfahren, unter Verwendung eines bequem berechenbaren Teils des Spektrums des Laplace- oder allgemeiner des Laplace-Beltrami-Operators gut möglich ist, identische oder sehr ähnliche Flächen, Körper und Bilder schnell und zuverlässig in grossen Datensammlungen zu finden. Ein praktisch wichtiger Aspekt dieses Verfahrens ist dabei, dass die verwendete charakteristische "Shape DNA" völlig unabhängig davon ist, in welcher Darstellung die Gestalt einer Fläche beschrieben ist. Das bedeutet, es spielt keine Rolle, durch welche spezielle Methode eine Fläche als Punktmenge (approximativ) modelliert ist, weil diese "Shape DNA" eine invariante Kenngröße ist, die nur von der Geometrie der Fläche abhängt. Diese Invarianz-Eigenschaft erlaubt es auch, durch 3D-Scans, (bzw. Fotografien) entstandene Kopien der Flächen (bzw. der Bilder) mittels "Shape DNA"-Vergleich schnell zu entdecken. Sie ermöglicht weiterhin eine Qualitätskontrolle der Güte der Kopien, die z.B. beim Fertigungsprozess für Freiformbleche im Karosseriebau anwendbar ist.

Herr Reuter konnte in seiner Dissertation ebenfalls zeigen, dass es effektiv numerisch möglich ist, aus den erwähnten Eigenfrequenzen bzw. Eigenwerten auf einem PC die Länge der Randkurve einer schwingenden Trommel, oder allgemeiner, die Länge der Randkurven zum jeweiligen Spektrum gehörigen Fläche zu bestimmen. Obwohl man seit ca. fünfzig Jahren wusste, dass diese geometrische Information in den Eigenwerten enthalten sein muss, gab es kein Verfahren zur Berechnung dieser Längen und anderer geometrischer Größen, wie z.B. dem Flächeninhalt der Trommel aus den Eigenwerten. Dies wurde erst durch Herrn Reuters Dissertation möglich, die gemeinsam mit Herrn Peineckes Dissertation neue Wege für die Erkennung und Charakterisierung von Flächen, Körpern, Bildern und deren Verallgemeinerungen in modernen virtuellen Welten der Wissenschaft und Technik aufzeigt.